Waldorfpädagogik
Waldorfpädagogische Grundlagen
Die beiden Grundpfeiler der Waldorfpädagogik im 1. Jahrsiebt bilden „Rhythmus und Wiederholung“ und „Vorbild und Nachahmung“.
Rhythmus und Wiederholung
Das Kind lernt im 1. Jahrsiebt nach dem Prinzip der Nachahmung: Das Stehen, Laufen und der Erwerb der Sprache können sich ausschließlich durch das menschliche Vorbild entwickeln. Durch bloße Erklärungen oder Anweisungen kann ein Kind nicht Sprechen oder Laufen lernen. Der erziehende Erwachsene hat somit für das Kind bis zur Einschulung eine Vorbildfunktion – in Mimik, Gestik, Grob- und Feinmotorik, bis hin zu Gefühlen, Gedanken und der inneren Haltung.
Es liegt in der Natur des Kindes, dass es im Vertrauen dem Vorbild des Erwachsenen folgen möchte. Dabei ist seine Nachahmung nicht nur ein bloßes Kopieren von Handlungen, sondern vielmehr ein freudiges Mitgehen und sich identifizieren mit den Aktivitäten des Erwachsenen. Deshalb zählt für das Kind nicht was der Erwachsene weiß, sondern was er ist und was er tut. Der Erwachsene im Kindergarten ist ein vielfältig, tätiges Vorbild. Alle anfallenden Arbeiten werden neben und mit den Kindern ausgeführt, wie kochen, putzen, aufräumen, reparieren, Garten- und Hausarbeiten sowie Festvorbereitungen oder künstlerische Tätigkeiten, wie Aquarellmalen und Bienenwachskneten sowie Bastelarbeiten.
Wir schaffen überschaubare, sinnvolle Arbeitsvorgänge, in die sich die Kinder jederzeit leicht eingliedern können, z. B. an unserem festen Frühstücks- und Arbeitstisch: schneiden, schälen, backen, Tische abwischen etc. oder an unserem festen Basteltisch: weben, schneiden, nähen, falten, etc. Wir schaffen eine gestaltete, vorbereitete, ansprechende Umgebung und es obliegt den Erwachsenen vorauszudenken, um unnötige Unruhe und Unterbrechungen zu umgehen. Erziehung ist in erster Linie Selbsterziehung. Hier sind wir aufgefordert uns im täglichen Leben und „Vorbild sein“ zu schulen.
Qualitäten wie Interesse an der Welt, Freude und Humor im Dasein, Empathie und Authentizität, Besonnenheit und Überblick sind höhere Ideale in unserer oft hektischen, unruhigen Umwelt. Vorbild wirkt sich bis in die Entwicklung des kindlichen Organismus und die Anlage der Krankheits- und Gesundheitsdisposition aus. Das kleine Kind begegnet allem mit größter Offenheit, es ist allen Einflüssen seiner Umgebung preisgegeben, ist ganz „Sinnesorgan“, kann sich noch nicht abgrenzen, alles wirkt bis in die Organprozesse und -bildung ein. So beeinflussen beispielsweise Stress und Streit die Atmung und den Herzschlag.
Vorbild und Nachahmung
Es ist die zentrale Aufgabe des Erwachsenen den Kindern im Kindergarten einen gesunden, rhythmischen Tages-, Wochen- und Jahresablauf zu gestalten, in welchem das Kind sich orientieren, wohlfühlen und gesund entwickeln kann. Unser Tagesablauf ist so gestaltet, wie es dem Kind von Natur aus entspricht. Phasen der Aktivität und Körperbetätigung wechseln mit Phasen der Ruhe und Entspannung ab. Im Freispiel betätigen sich die Kinder nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen, sie suchen sich ihre Spielkameraden, Spielthemen und Spielmaterialien aus. In der einen Ecke wird für die Löwen eine Höhle gebaut und Futter beschafft, in der anderen Spielecke wird eine Geburtstagsfeier mit Tischdecken, Kronen und Geburtstagsschleiern vorbereitet, während die Kindergärtnerinnen sich der Frühstücksvorbereitung etc. widmen.
Nach dem gemeinsamen Aufräumen treffen wir uns im Märchenstübchen zum Morgenkreis. Die körperliche Aktivität kommt zur Ruhe: Beine, Arme, Mund lernen ruhig gehalten zu werden. Wir lauschen, singen und ahmen Gesten z. B. im Fingerspiel nach. Beruhigung und Entspannung des Organismus macht sich bis hin zur Vertiefung von Atmung und Herzschlag bemerkbar. Körperliche Aktivität, Bewegung, Tun im Freispiel stehen Erholung, Regeneration, zu sich kommen, bei sich sein im Morgenkreis gegenüber. So wie in der Natur das Prinzip des Rhythmuses den Menschen beeinflusst und prägt – Tag-Nacht, Winter-Sommer, Ein- und Ausatmung – so wirkt ein gesunder, rhythmischer Tagesablauf auf uns Menschen stärkend, gesundend und harmonisierend, ausgleichend.
Das Kind im 1. Jahrsiebt verlangt von Natur aus nach Wiederholung, es entspricht seinem Wesen und Entwicklungsalter. In der Wiederholung erlebt es eine Vertiefung und Bestätigung, das gibt dem Kind Sicherheit. Die Wiederkehr von Gewohntem gibt Orientierung und Vertrauen, diese Vorhersehbarkeit und Verlässlichkeit schafft eine gute Grundlage für gesunde Entwicklung. Tägliche Rituale werden gelebt: Das persönliche Begrüßen und Verabschieden der Kinder – Fingerspiele, Lieder, handwerkliche Tätigkeiten, Bastelarbeiten werden über einen längeren Zeitraum gemacht ( = Verinnerlichen und Lernen) – Morgen- und Abschlusskreis – tägliche Essenszubereitung mit den Kindern, etc.
Das Freispiel
Das freie Spiel ist geradezu ein universelles Lernfeld für das Kind. Es fördert die motorische Geschicklichkeit, schult die Sinneswahrnehmung und bietet Raum für den Ausdruck der kindlichen Phantasie und Kreativität. Es fördert das Sozialverhalten durch das Erfahren von Grenzen und Regeln, in Rollenspielen, in Konfliktsituationen und bietet somit ein weites Selbsterfahrungsfeld. Im Freispiel entfalten sich die Schlüsselqualifikationen des Kindes.
In unserem Kindergarten nutzen die Kinder selbständig alle Spielräume. Es gibt verschiedene jeweils abgetrennte Stübchen und Bereiche wie die Puppenecke, den Kaufladen, die Bauecke oder den Maltisch. Verschiedene Materialien und Spielsachen wie Bauklötze, Puppen, Bänder, Schleier, Stoffe und Naturmaterialien wie Zapfen und Steine stehen den Kindern zur freien Verfügung. Auch die Spielständer, Tische, Bänke und Stühle dürfen zum Bauen und Spielen verwendet werden. Die Kinder bewegen sich durch Klettern, Kriechen und Krabbeln vielseitig.
In unserer zweiten Freispielzeit im Garten ergeben sich für die Kinder neue Erfahrungsmöglichkeiten. Sie rennen, schaukeln, verstecken sich in den Büschen, klettern, graben im Sand, bauen etwas aus Stöcken und Steinen, sammeln Zweige und Blätter oder beobachten Insekten. Wie ein Kind spielt so lernt es, wie es lernt so arbeitet es. Das Spiel ist die Arbeit des Kindes.
Der Reigen
Der Reigen ist ein wichtiges, waldorfspezifisches Element. Durch ihn werden das Gruppengefühl und das Miteinander gestärkt, die Gruppe kommt nach und nach in ein Gemeinschaftsgefühl. Im Freispiel erleben und erlernen die Kinder ihre
Individualität, das „Du“ und „Ich“, im Reigen erfahren und erleben sie das „Wir“.
Die Kinder bewegen sich nach dem Vorbild der Kindergärtnerin mal schnell, mal langsam, mal leise - mal laut, mal stampfend - mal auf Zehenspitzen im Gruppenraum. Die Polaritäten sind Voraussetzung und Grundelement unserer Reigen. Der Reigen erfordert von uns Erziehern eine gründliche Ausarbeitung und Vorbereitung. Die Verse, die Lieder, die Gesten und Bewegungen müssen gut aufeinander abgestimmt sein.
Es werden jahreszeitliche Themen dargestellt wie z. B. im Herbst der Bauer, der sein
Korn sät und wachsen lässt, dann senst, drischt und beim Müller zu Mehl mahlen lässt um letztendlich Brot daraus zu backen.
Grob- und Feinmotorik werden im Reigen ebenso ausgebildet wie Raum- und Körperwahrnehmung.
Die Eurythmie
In unserem Kindergarten findet einmal in der Woche Eurythmie in einer Einheit von 30 Minuten statt.
Eurythmie heißt wörtlich übersetzt „schöner Rhythmus“ und ist eine Bewegungskunst. Sie ist sichtbare Sprache und sichtbare Musik. Die Eurythmistin entwickelt in Versen und kleinen Märchen innere und äußere Bilder, die mit verschiedenen Bewegungen verbunden werden. Durch Nachahmung tauchen die Kinder unmittelbar in die Bewegung mit ein. Sie tippeln leise auf Zehenspitzen wie die Zwerglein, stampfen wie die Riesen. Dann fliegen sie wie die Vöglein, schleichen wie die müden Pferdchen, galoppieren aber auch ganz kräftig wie die fröhlichen Fohlen.
Die tiefe Bedeutung der Eurythmie liegt in den moralisch-pädagogischen Übungen zur Harmonisierung der Temperamente, zur Pflege der Intelligenz, der seelischen Beweglichkeit und eines gesunden Gemeinschaftsgefühls.
Lieder, Verse und Bewegungen machen Freude und unterstützen die Bewegungsentwicklung des Kindes.
Fingerspiele
R. Steiner wies darauf hin, dass die Bewegungen der Hände mitwirken an der Bildung des Sprachzentrums. Die spielerische Übung der Finger- und Handmotorik unterstützt die
Sprachentwicklung. „Solange die Finger sich nicht frei bewegen wird die Sprache sich
nicht entwickeln können.“ (M. Kolzowek)
Verbindet man die Aufmerksamkeit des Auges mit den Bewegungen der Hand, dann bereitet man spielend das vor, was für beinahe jede Handfertigkeit und besonders für das Schreiben unerlässlich ist. Im Morgenstübchen und vor unserem Frühstück nehmen wir uns täglich Zeit für Fingerspiele.
Puppenspiele
Das Puppenspiel ist ein waldorfpädagogisches Element. Mit Hölzern, Zapfen, Steinen und Tüchern werden Landschaften und Häuser aufgebaut und mit der Hand geführte Stehpüppchen und Tiere werden zu Geschichten und Märchen bewegt.
Es werden kleine, stimmige Geschichten zur Jahreszeit zum Abschluss des Vormittages gespielt. Zu Anfang und zu Beginn liegt die Landschaft verborgen unter Seidentüchern. Gespannt und mit Vorfreude richten die Kinder ihre Augen zum Puppenspieltisch. Die großen Kinder singen beim Anfangs- und Schlusslied mit.
Kein Mucks ist zu hören, alle Aufmerksamkeit ist gebündelt und Arme und Beine kommen zur Ruhe.
Die Kinder haben große Freude am Wiedererkennen und Mitsprechen. Sie sind
danach zufrieden und erfüllt.